Strukturanalyse durch Beugung von Röntgenstrahlen in Chemie | Schülerlexikon

Die Struktur (lat.: structura = Bau, Bauart) von Verbindungen bestimmt deren Eigenschaften und damit deren mögliche Nutzung in Natur und Technik. Aus diesem Grund sind Chemiker seit Jahrhunderten bestrebt, möglichst genaue Informationen zum Aufbau und zur chemischen Bindung der Stoffe zu erhalten, bevor Sie aufwändige Untersuchungen zu ihrer Verwendbarkeit anstellen.
Die Bausteine der Materie sind allerdings so klein, dass diese ohne leistungsfähige Analysengeräte nicht möglich ist. So liegen Atom- und Ionenradien im Bereich von 5 bis 100 pm, der mit modernsten Mikroskopen erst seit kurzer Zeit zugänglich ist. Außerdem schwingen die Atome und Ionen, sodass eine genaue Bestimmung ihrer Lage und Größe mit solchen Mikroskopen sehr schwierig ist.

Mit der Entdeckung der verschiedenen Arten der elektromagnetischen Strahlung war es jedoch schon Ende des 19. Jh. möglich, mit spektroskopischen Methoden erste Informationen zum Aufbau der Materie zu erhalten. Die verschiedenen spektroskopischen Methoden (IR-, NMR-, und Atomspektroskopie) liefern unterschiedliche Informationen und sind nicht auf alle Stoffe anwendbar (Bild 2).

Für feste kristalline Stoffe wurde im 20. Jh. deshalb eine andere nicht spektroskopische Methode zur Strukturaufklärung entwickelt und immer weiter vervollkommnet. Feste Stoffe kristallisieren in dreidimensionalen Gitterstrukturen, die je nach Bindungsart regelmäßige Anordnungen von Atomen, Ionen oder Molekülen darstellen (Bild 1). Der Abstand dieser Teilchen im Gitter ergibt sich aus dem Teilchendurchmesser und liegt daher ebenfalls zwischen 5 pm bei Ionen bis zu 1 nm bei Molekülen. Genau in dieser Größenordnung liegt die Wellenlänge von Röntgenstrahlen mittlerer Frequenz. Diese elektromagnetische Strahlung wird deshalb am Kristallgitter gebeugt und reflektiert, so wie sichtbares Licht an optischen Gittern geeigneter Spaltbreite (Bild 3).

Der Physiker MAX VON LAUE (1879 – 1960) und seine Mitarbeiter bestrahlten 1912 Kristalle mit Röntgenstrahlen einer definierten Wellenlänge und bestätigten, dass diese die üblichen Welleneigenschaften Beugung und Reflexion aufweisen. Durch die Überlagerung der gebeugten und reflektierten Wellen entsteht ein sogenanntes Beugungsmuster. Dieses Beugungsmuster hängt davon ab, wie der Kristall aufgebaut ist, also von der Größe der Atome bzw. Ionen und ihrem Abstand zueinander.

Die Teilchen, aus denen jeder Kristall besteht, bilden verschiedene Lagen oder auch Ebenen. An diesen Gitterebenen bzw. Netzebenen wird die Röntgenstrahlung reflektiert und gebeugt. Diese Netzebenen sind in Bild 3 vereinfacht nur in waagerechter Richtung gezeichnet. Trifft Röntgenstrahlen unter einem geeigneten Winkel zwischen 0° und 90° auf solche Gitterebenen, so erfolgt eine Reflexion. Die an der Gitterebene reflektierte Röntgenstrahlen überlagert sich, es kommt zur Verstärkung (Interferenzmaxima) und zur Auslöschung (Interferenzminima) der reflektierten Strahlung.

Eine Verstärkung tritt nur auf, wenn der Winkel α der an einer Gitterebene eingestrahlten Röntgenstrahlung gleich dem Winkel α ´ der reflektierten Strahlung ist. Außerdem muss der Gangunterschied zwischen benachbarten Strahlen ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge sein(Bild 4). Diese Bedingungen sind in der BRAGG-Gleichung zusammengefasst, die von dem englischen Physiker WILLIAM LAWRENCE BRAGG (1890 – 1971) aufgestellt wurde und wie folgt lautet:

k λ = 2 d sin α k k = 1, 2, 3, λ = Wellenlänge d = Abstand der Gitterebenen α k = Re flexionswinkel (BRAGG Winkel)

Strahlt man also Röntgenstrahlung einer definierten Wellenlänge auf einen Kristall ein und verändert den Einfallwinkel α von 0 bis 90°, so erhält man für eine Reihe von Netzebenenabstände d im Kristall ein Signal der reflektierten Röntgenstrahlung. Da die Abstände der Gitterebenen von der Größe und Anordnung der Teilchen abhängen, kann aus dem Beugungsmuster die Gitterstruktur berechnet werden. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jh. dauerte eine solche Berechnung noch mehrere Tage. Heute übernehmen Computer diese Berechnung in wenigen Stunden.

Kristalline Feststoffe liegen entweder als Einkristalle oder als Pulver vor, indem viele kleine Kristallite regellos nebeneinander existieren. Der letztere Fall ist der häufigere (Bild 5). Dementsprechend entwickelten sich zwei grundlegende Methoden der Röntgenstrukturanalyse durch Beugung von Röntgenstrahlen, die Pulvermethoden und die Einkristallmethoden.

Einkristall- bzw. Drehkristall-Verfahren

In einem Einkristall besitzt das gleichmäßig gewachsene Kristallgitter über das gesamte Volumen die gleiche Orientierung. Wenn man einen ausreichend großen Einkristall einer neuen Verbindung hergestellt hat, kann man daraus mittels Röntgenbeugung die Struktur bestimmen. Man bringt den Kristall in den Strahlengang einer monochromatischen Röntgenstrahlung und dreht ihn in alle Raumrichtungen. Auf diese Weise wird der Einfallwinkel variiert und ein Beugungsmuster erhalten, aus dem der Computer die Struktur berechnet. Man erhält auf diese Weise die Anzahl der Ionen bzw. Atome in der kleinsten Baueinheit des Einkristalls der sogenannten Elementarzelle. Außerdem lassen sich die Abstände der Teilchen untereinander und daraus ihre Radien sehr genau ermitteln. Sogar die Bindungswinkel zwischen den Atombindungen kann man berechnen. Je einfacher der Kristall aufgebaut ist, um so schneller und genauer ist die Berechnung der Struktur. Mit modernen Methoden lässt sich sogar die Elektronendichteveteilung zwischen den Teilchen visuell darstellen und Aussagen zur Bindungsstärke ableiten. Die verschiedenen Drehkristall-Verfahren werden unter dem Begriff Röntgenkristallstrukturanalyse zusammengefasst.

Pulvermethoden

Oft liegen Feststoffe nicht als Einkristalle, sondern als Pulver vor, in dem viele sehr kleine „Einkristalle“ ungeordnet nebeneinander existieren. Bringt man Pulver in den Strahlengang eines Röntgendiffraktometers (engl. diffraction = Beugung), dann braucht man die Probe nicht mehr zu drehen. Durch die regellos angeordneten Kristallite ist bei Pulveraufnahmen von vornherein schon jeder Einfallwinkel zu jeder Netzebene realisiert. Als Detektoren für die reflektierte bzw. gebeugte Röntgenstrahlung verwendet man Zählrohre oder spezielle Halbleiterbauelemente (CCDs) anstelle der früher gebräuchlichen Filme. Der Nachteil der Pulveraufnahmen besteht darin, dass das Beugungsmuster – das sogenannte Röntgendiffraktogramm – „ungenauer“ ist als bei Einkristallen. Das hat verschiedene Ursachen, u. a. führt die statistische Verteilung der kleinen Kristallite zu Verfälschungen der Intensitäten. Die Berechnung von Strukturen ist deshalb sehr rechenaufwändig und kann erst seit den 80er-Jahren mit leistungsfähigen Computern von erfahrenen Kristallografen durchgeführt werden. Das Hauptanwendungsgebiet der Pulvermethoden ist deshalb auch heute noch die Phasenanalyse.
Jeder feste, kristalline Reinstoff besitzt aufgrund seiner Struktur ein charakteristisches Röntgendiffraktogramm (Bild 7), das zu dieser Struktur gehört wie ein Fingerabdruck. Die Diffraktogramme aller bekannten Substanzen sind in einer riesigen Datenbank dem zusammengefasst. Hat man eine Pulveraufnahme eines Feststoffes, dann vergleicht man diese mit den „Fingerabdrücken“ der bekannten Substanzen in der Datenbank und kann den Feststoff eindeutig identifizieren. Dazu genügen wenige Milligramm des kristallinen Pulvers. Mit dieser Methode lassen sich auch unterschiedliche Modifikationen der gleichen Verbindung, z. B. α -Al 2 O 3 und γ -Al 2 O 3 , unterscheiden, da sie verschiedene Strukturen aufweisen. Außerdem können in Gemischen die enthaltenen Stoffe mit einem Anteil von mehr als 5 % nachgewiesen werden, weil alle Komponenten zu Röntgensignalen im Diffraktogramm führen, die nicht zum „Fingerabdruck“ der reinen Verbindung gehören. Diese zuverlässige und eindeutige Phasenanalyse bzw. Phasenidentifizierung ist die wichtigste Anwendung der Pulvermethoden.
In der modernen Chemie werden die neu entdeckten Verbindungen, deren Struktur aufgeklärt werden muss, jedoch immer komplizierter und lassen sich oft nicht als Einkristalle herstellen. Durch den Fortschritt der Computertechnologie können inzwischen aber auch die Strukturen dieser Verbindungen aus Pulver-Aufnahmen mit einer ausreichenden Genauigkeit bestimmt werden. Das mathematische Verfahren heißt RIETVELD-Verfeinerung und erlaubte die Ermittlung der Struktur der Hochtemperatursupraleiter zu Beginn der 90er Jahre und vieler anderer keramischer Verbindungen.

Bedeutung der Röntgenstrukturanalyse

Mit den Methoden der Röntgenbeugung kann man nicht nur die Strukturen einfacher Salze bestimmen, oder die Zusammensetzung unbekannter Stoffe analysieren. Auch die außerordentlich komplexe Struktur von Nucleinsäuren (Bild 8) oder von Eiweißen und anderen makromolekularen Stoffen kann durch moderne Röntgenbeugungsmethoden ermittelt werden. Für diese Leistungen wurden in der Vergangenheit eine Reihe von Nobelpreisen vergeben, so z. B. für die Strukturaufklärung der DNA durch FRANCIS CRICK (1916 – 2004) und JAMES WATSON (geb. 1928). Der letzte Nobelpreis in dieser Reihe wurde 1988 für die Aufklärung der Struktur des fotosynthetischen Reaktionszentrums des Pupurbakteriums vergeben. Dieses besteht aus mehr als 5 000 Atomen!
Die größte Bedeutung der Röntgenstrukturanalyse liegt jedoch in der Phasenanalyse mittels Pulvermethoden und in der Voraussage der chemischen und physikalischen Eigenschaften, die sich aus der Struktur der Feststoffe ergeben.

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